Feuchtwiesen

Für Menschen aus Bremen ist es eher ein ganz normales, für unsere Gäste jedes Mal ein beeindruckendes Erlebnis: Man fährt auf einem der Heerstraßenzüge nach Norden, Süden, Westen oder Osten und kommt unweigerlich hinein: in den Bremer Feuchtwiesenring, der sich rings um die Stadt zieht. Auch wenn die Verluste an offener Landschaft gewaltig waren, es blieb doch noch eine erfreulich große Zahl an Feuchtgrünlandgebieten übrig. Auf der Landkarte kann man das verfolgen.

Was ist das Bedeutende am Bremer Feuchtwiesenring?

Selbst Naturschutzfachleute aus anderen Regionen Deutschlands sind zunächst verblüfft, wenn ihre Bremer Kolleginnen und Kollegen von ihrem Feuchtwiesenring schwärmen. Was ist denn eigentlich Besonderes an diesen auf den ersten Blick so eintönig wirkenden Wiesen? Eintönig? Ein gutes Stichwort für einen Naturschützer, der sogleich vom Gegenteil berichten wird:

Da ist zunächst der jahreszeitliche Wandel, der den Bremer Feuchtwiesenring ganz anders als in anderen Gegenden zu einem herausragenden Naturschutzjuwel macht.

Winter

So sind winterliche Überschwemmungen hier noch in weiten Teilen erwünscht und oft auch mit Mitteln des Naturschutzes erzeugt, d.h. es werden kleine Stauanlagen in die Bewässerungsgräben gebaut, mit denen das Wasser einfach am Ablaufen gehindert wird. Diese nassen und im Winter dann natürlich auch oft vereisten Flächen dienen dann vielen Vogelarten als Überwinterungsplatz, der weitgehend frei von natürlichen Feinden ist. Unterschiedlich große Zahlen an Sing- und Zwergschwänen zum Beispiel tummeln sich im Winter im Blockland, tausende Pfeifenten in den Borgfelder Wümmewiesen. So konnten an einem einzigen Februartag im Bremer Feuchtwiesenring  34.000 Vögel gezählt werden, allein in den Wümmewiesen etwa 23.000: 2.400 Bläßgänse, 16.000 Pfeifenten, 3.000 Kiebitze, 576 Zwergschwäne und 413 Singschwäne...

Frühling

Im Frühjahr bleibt das Wasser lange auf einigen Wiesen stehen, um hier vor allem den dann wandernden Wat- und Wiesenvögeln gute Rastmöglichkeiten zu bieten. Das nehmen diese auch gerne an. Es sind beeindruckende Erlebnisse, sich dieses vor Ort anzusehen. Mit unterschiedlichen Stauplänen entstehen vielseitige Angebote an die gefiederten Fernwanderer, aber auch sehr gute Möglichkeiten für all jene Limikolen-Arten, die den Bremer Feuchtwiesenring als Brutgebiet ausgesucht haben. Wenn in den dann allmählich trocken fallenden Wiesen die Kücken ausschlüpfen - bei den Wiesenbrütern sind dies im Allgemeinen Nestflüchter, die sehr schnell nach dem Schlupf ihren Müttern bei der Nahrungssuche folgen - dann ist die Vegetation noch niedrig und der Boden schön weich. Ideal zum Stochern mit den langen Schnäbeln. Etwas schneller als die Vögel wachsen nun Halme und Stängel und bieten den Jung- und Altvögeln gute Deckung gegen Feinde von oben.

Auf den normalen, intensiv genutzten Grünlandflächen müssen die Landwirte im Frühjahr zunächst einmal mit breiten Walzen die vom Frost oder Maulwürfen hubbelig gewordenen Flächen plattwalzen. Das geht heute mit entsprechenden Maschinen recht schnell. Zu schnell für die Jungvögel, die noch nicht fliegen können und zu schnell auch für die noch bebrüteten Eier der Wiesenvögel. Im Bremer Feuchtwiesenring gibt es daher viele Bereiche, vor allem in den Naturschutzgebieten, in denen dieses Walzen nicht stattfindet. Auch Landwirte müssen Geld verdienen, daher ist für sie ein möglichst früher Schnitt der Wiesen wichtig. Damit das Gras schneller und kräftiger wächst, wird es meist vorher noch einmal mit Gülle gedüngt. Gülle gibt es genug von den Kühen, die im Winter statt auf den zu kalten Wiesen im Stall gestanden haben. Gülle fördert aber nur wenige Pflanzenarten und ist auch für Wiesenbrüter nicht gerade ein Segen. Wieder ein Pluspunkt für den Bremer Feuchtwiesenring: in großen Bereichen wird hier auch nicht oder erst sehr spät gedüngt. Die Landwirte erhalten hierfür eine finanzielle Entschädigung, die vertraglich geregelt ist.

Und dieses Nichtdüngen hat auch für das Auge zauberhafte Wirkungen. Denn so bleibt auch die pflanzliche Vielfalt der Wiesen erhalten. Bunt sind daher die Wiesen im Frühjahr. Gelb die Sumpfdotterblumen ganz am Anfang, pink die Kuckuckslichtnelke, rosaweiß das Wiesenschaumkraut, gelb das Wassergreiskraut oder rot das Sumpfläusekraut, um nur ein paar der schönen und seltenen Pflanzenarten hier zu nennen.

Sommer

Es gibt noch immer Vögel, für die ungemähte Wiesen wichtig sind. Der Wachtelkönig gehört dazu. Er brütet erst im Sommer in der dann hohen Wiesenvegetation. Wie vermeidet man als Naturschützer, dass dem Wachtelkönig dieser Brutraum durch zu frühe Mahd der Wiesen geraubt wird? Man muss die Wiesen kaufen. Genau dies war Ziel der Naturschutzbemühungen in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts, und mit Erfolg: im Bremer Feuchtwiesenring gibt es noch Wachtelkönige. Gehen Sie doch mal mit auf eine der eindrucksvollen Nachtwanderungen in die Nähe von deren Brutgebiete. Erst, wenn das Brutgeschäft von Wachtelkönig und Tüpfelralle, einer weiteren äußerst seltenen Brutvogelart in Bremen, abgeschlossen ist, kann gemäht werden. So kommt es, dass bis zu 10% der Wachtelkönige und ca. 6 % der Tüpfelrallen in Deutschland im Bremer Feuchtwiesenring brüten.

Herbst

Selbst im oft schon trüben Herbst genießen die Wiesen des Bremer Feuchtwiesenrings eine große Bedeutung in der Vogelwelt. Denn nun kommen sie zurück aus ihren Sommerrevieren, die Wat- und Wiesenvögel, die großen Zugvogelschwärme. Und sie machen in Bremen Rast, zu Tausenden. Füllen sich ihr Mägen, verschaffen sich Fettpolster für den langen Weg in die warmen Winterquartiere. Hierzu helfen die oft schon wieder leicht eingestauten Wiesen, so dass der "Tisch" für die Vögel reich gedeckt ist.

Schön, dass Sie unserem Gang durch die Jahreszeiten gefolgt sind auf der Suche nach der Antwort auf die Frage, ob die Bremer Feuchtwiesen denn nicht eintönig seien. Doch nicht nur der jahreszeitliche Wandel macht diesen Ring so wertvoll, sondern auch seine unterschiedlichen Ausstattungen rings um Bremen.

Vielfalt der Flächen

Folgen wir dem Uhrzeiger von "12 Uhr", dann liegt hier das riesige Blockland, sicher eines der größten zusammenhängenden, noch relativ extensiv landwirtschaftlich genutzten Grünlandbereiche im Nordwesten Deutschlands. Hier gibt es so gut wie keine die Wiesenvögel störende Gehölze, es ist eine großräumige, offene Landschaft. Das ganze Gebiet ist von unzähligen Gräben durchzogen mit ihren eigenen Lebensgemeinschaften. Diese Gräben dienen im Sommer der Bewässerung, im Winter und vor allem im Frühjahr versuchen die Landwirte, ihr Wirtschaftsgrünland möglichst bald wieder trockener zu bekommen. Hier gibt es zwischenzeitlich viele Verträge zwischen Naturschutz und Landwirtschaft mit dem Ziel, die alte, vielfältige Kulturlandschaft so weit wie möglich zu erhalten und den Landwirten dadurch entstehende finanzielle Erschwernisse auszugleichen.

Im Uhrzeigersinn weiter gehend folgt dann das Hollerland, das schon lange unter Naturschutz steht und auch mittlerweile als europäisches Schutzgebiet an die EU gemeldet ist. Hier sind die Abstände zwischen den Gräben noch dichter als im Blockland. Das Hollerland hat bereits eine reiche Geschichte und war schon mehrfach auf das Höchste als Naturschutzfläche gefährdet. Es gibt in Bremen kein zweites Naturschutzgebiet mit vergleichbaren politischen Auseinandersetzungen. Mittlerweile ist es als Europäisches Schutzgebiet an die EU gemeldet. Somit scheint dieser Lebensraum für eine große Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten gesichert zu sein.

Dann folgt das große Schutzgebiet der Borgfelder Wümmewiesen, an die sich nach Osten die Fischerhuder Wümmewiesen anschließen. So besteht entlang der Wümme ein mittlerweile recht gut vernetztes Band an Feuchwiesen mit - unter Naturschutzgesichtspunkten - internationaler Bedeutung. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Wümmewiesen nahezu vollständig vom Naturschutz aufgekauft wurde und die Bewirtschaftung zur Erhaltung dieser Kulturlandschaft in enger Absprache zwischen den Naturschützern und den Landwirten geschieht.

Folgt man der Grenze zwischen Bremen und Niedersachsen am Hodenberger Deich nach Süden, ist man schnell in der Hemelinger Marsch. Hier spielt der direkte Einfluß der Mittelweser eine große Rolle, wodurch wieder andere Tier- und Pflanzenarten angesprochen werden. Auch diese Feuchtwiesen gehören zu den europäischen Schutzgebieten, was 1995 zur Bremer "Piepmatzaffäre" mit einem Regierungswechsel geführt hat.

Links der Weser kommen südlich von Kattenesch die ersten Feuchtwiesen entlang der Ochtum, die dann westlich des Flughafens zum Park Links der Weser werden. Nördlich der B 75 erstreckt sich erneut eine sehr große, zusammenhängende Feuchtwiesenlandschaft, beginnend mit dem NSG Brokhuchting, das bereits außerordentliche Naturschutzerfolge vorweisen kann. Es folgt das durch das Güterverkehrszentrum arg zusammengeschrumpfte Niedervieland und schließlich öffnen sich die zum Teil neu gestalteten Bereiche Außen- und  Duntzenwerder.

Nun ist schon wieder ein kurzer Sprung über die Weser erforderlich, um die sich gleich anschließenden und somit für die Vogelwelt eng vernetzte nächste Feuchtwiesenlandschaft zu erreichen: Das Werderland. Direkt neben der großen Stahlhütte von Arcelor Mittal erstrecken sich ökologisch höchst wertvolle Feuchtgrünlandgebiete, die bis zur Lesum führen. Und an dieser entlang, nur von wenigen Brücken überquert, wird der Anschluss an das Blockland geknüpft. von dem aus es nach Nordosten dann weiter in die ebenfalls ökologisch sehr wertvolle Hammeniederung geht.

Insofern ist er fast gänzlich geschlossen, der Bremer Feuchtwiesenring. Welche Großstadt in Deutschland kann dies schon von sich behaupten? Und für Sie, die Sie das Naturerlebnis suchen, ergeben sich sehr gute Möglichkeiten mit kurzen Wegen, diese faszinierende Landschaft kennenzulernen und zu genießen.